Einleitung

Jüdisches Leben in Mecklenburg ist seit dem 13. Jahrhundert nachgewiesen, auch wenn das Land bis in das 19. Jahrhundert zu den Staaten gehörte, in denen Juden eine vergleichsweise kleine Bevölkerungsgruppe bildeten. Im Zuge der Pestkatastrophe des 14. Jahrhunderts wurden auch in Mecklenburg Juden verfolgt, denen man die Schuld an der Krankheit gab. Die Hansestädte Wismar und Rostock verwehrten Juden seit 1350 das Wohnrecht und weigerten sich bis 1867, jüdische Mecklenburger innerhalb ihrer Mauern aufzunehmen. Höhepunkt der Verfolgung war das Pogrom in Sternberg im Jahre 1492 wegen angeblicher „Hostienschändung“, ein unsäglicher stereotyper Vorwurf, der auch in anderen Teilen des Reiches immer wieder Anlass zu Verfolgungen gab. In Mecklenburg führten die Ereignisse von 1492 zur völligen Vertreibung der Juden aus dem Lande. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg durften wieder Juden in das teilweise entvölkerte Land; der Glückstädter Kaufmann Michel Hinrichsen kann als Gründer der Jüdischen Gemeinde in Mecklenburg angesehen werden.

Rechtlich waren die Juden in Mecklemburg nur geduldet; es bedurfte der landesherrlichen Konzession, um in den Status eines ‚Schutzjuden’ zu gelangen, der durch jährliche Schutzgeldzahlungen erneuert werden mußte, und es den Besitzern dieser ‚Privilegien’ erlaubte, in bestimmten Orten des Landes ihren Wohnsitz zu nehmen und einem festgelegten Gewerbe nachzugehen. Die Ausübung eines Handwerks war Juden untersagt. Bis 1760 gingen die Zahlungen des Schutzgeldes direkt an die herzogliche Renterei-Kasse, danach wurden sie von den Magistraten der Städte erhoben, allerdings ohne Abzüge an den Herzog weiter überwiesen. Den Städten war es nicht erlaubt, von ihren jüdischen Einwohnern Schutzgeld unter welchem Titel auch immer zu erheben. Zur Ordnung ihres religiösen Lebens trafen sich die Jüdischen Gemeinden Mecklenburgs 1752 in Malchin, 1764 in Schwaan und 1767 in Crivitz zu sog. ‚Judenlandtagen’. Ihre Beschlüsse dokumentieren die inneren Verhältnisse der jüdischen Gemeinschaft und ihr Streben nach Selbständigkeit bei ihren Angelegenheiten. Städte und Stände Mecklenburgs reagierten größtenteils mit Ablehnung und Feindschaft auf die zunehmende jüdische Bevölkerung. Als in den 1790er Jahren Beschwerden beim Herzog eingingen, dass Juden städtische Wohnhäuser erwürben, reagierte dieser gelassen mit dem Hinweis auf seine landesväterlichen Pflichten gegenüber allen Untertanen, und dazu gehörten eben auch die Juden, wenigstens die „eingeborenen mecklenburgischen.“ Die Haltung des Herzogs kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Juden in Mecklenburg eine schlechtere rechtliche Position hatten, als in anderen Territorien des Reiches. Das änderte sich erst mit dem Gesetz vom 22. Februar 1813, das einer Petition der Ältesten der Schweriner Gemeinde, Michel Ruben Hinrichsen und Nathan Mendel aus dem Jahre 1811 folgte. Federführend bei der Erarbeitung waren neben dem Orientalisten O. Tychsen, dem Regierungspräsidenten von Brandenstein und dem Geheimen Regierungsrat Ch. F. Krüger auch Vertreter der jüdischen Gemeinden und der Finazrat Israel Jacobson. Der erste Artikel der „Landesherrlichen Constitution zur Bestimmung einer angemessenen Verfassung der jüdischen Glaubensgenossen in den Herzoglichen Landen“ besagte:

Alle bisher in Unsern landesherrlichen Schutz genommene privilegirte Juden sollen hinfüro mit ihren Ehefrauen und unabgesonderten Kindern für Einländer geachtet werden, und nach Maaßgabe der weiter folgenden Modificationen gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.“

Entscheidend für das Gesetz war, dass die Gleichstellung der Juden ohne Bedingungen und Einschränkungen realisiert werden sollte. Hierzu gehörte auch der Teil der Verordnung, der es Juden bei der Annahme eines erblichen Familiennamens völlig freistellte, welchen Nachnamen sie annehmen wollten und es nicht zu den Diskriminierungen wie in anderen Teilen des Reiches bzw. des Deutschen Bundes kam; so hießen beispielsweise die jüdischen Familien der Kleinstadt Kröpelin nach 1813 Heynssen, Levetzow, Holstein und Frank. Die Stände gaben ihren Kampf gegen die Gleichstellung der Mecklenburger Juden allerdings nicht auf. Mit der fadenscheinigen Begründung, man warte auf eine einheitliche Gesetzgebung der Bundesversammmlung in Frankfurt, hob der bedrängte Herzog eines der fortschrittlichsten Gesetze zur Judenemanzipation bereits am 11. September 1817 wieder auf, mit der Maßgabe, mit höchster Diskretion zu verfahren, „so daß es nicht zur öffentlichen Kenntniß des ganzen Publicums, sondern nur der Stände komme.“

Die Juden Mecklenburgs fielen zwar wieder in ihre rechtlose Stellung zurück, dennoch bildeten sich in Schwerin, Güstrow und Parchim kleine Zentren jüdischen Lebens in Mecklenburg-Schwerin, kam es mit der Gründung des „Vereins zur Beförderung von Handwerkern unter den israelitischen Glaubensgenossen im Mecklenburg“ und mit publizistischen Arbeiten des Güstrower Juristen Nathan Aarons und des Hofgraveurs Meyer Löser zu einer langsamen Durchbrechung der Ausgrenzung. Nach erneuter bürgerlicher Gleichstellung durch die neue Landesverfassung in den Jahren 1848 bis 1850 dauerte es allerdings noch bis zum Beitritt beider Mecklenburg zum Norddeutschen Bund 1866/67 und zum Bundesgesetz vom 3. Juli 1869, bis der diskriminierende Status des ‚Schutzjuden’ engültig abgelegt werden konnte und die Mecklenburger jüdischen Glaubens allen anderen Bürgern des Landes gleichgestellt wurden.

Literatur (Kurztitel): Hans-Michael Bernhardt, Bewegung und Beharrung. Studien zur Emanzipationsgeschichte der Juden im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 1813-1869, Hannover 1998; Heinz Hirsch, Spuren jüdischen Lebens in Mecklenburg, Schwerin 2001; Norbert Francke u. Bärbel Krieger, Schutzjuden in Mecklenburg, Schwerin 2002; Doreen Frank, Jüdische Familien in Parchim, Parchim 1997; Nathan Aarons, Bemerkungen über das staatsrechtliche Verhältnis der Juden in Mecklenburg, Güstrow 1826.

 

Anzahl der jüdischen Bewohner in Mecklenburg-Schwerin 1819

Folgende Karten und Tabellen bezeichnen die Städte des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, in denen es im Jahre 1819 jüdische Gemeinden gab, sowie deren Größe. Die Angaben für die Gemeinden in Kröpelin und Parchim entstammen der Volkszählungsliste von 1819. Die konkreten Zahlen der Volkszählung stimmen nicht mit den Angaben des Mecklenburgischen Staatskalenders überein, dem die anderen Mitgliederzahlen entnommen wurden, da diese Städte im Rahmen des Projektes noch nicht bearbeitet wurden.

Tabelle 1: Anzahl jüdischer Bewohner auf der Grundlage des „Grosherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Staats-Kalenders von 1820“
Kartogramm: Jüdische Gemeinden in Mecklenburg-Schwerin 1819
Diagramm 1: Anzahl der jüdischen Bevölkerung 1819 in Mecklenburg-Schwerin

Wichtige Anmerkungen zur Datengrundlage:

Die Werte der Datentabellen, die im Kartogramm visualisiert wurden, basieren auf den Angaben des Staatskalenders. Diese Werte dienen jedoch nur zur Gewinnung eines Eindrucks, wie eine ungefähre Verteilung der jüdischen Bevölkerung im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin im Jahre 1819 ausgesehen haben könnte. Zur Ermittlung sicherer Erkenntnisse sind diese Werte und ihre Auswertung ungeeignet, denn im Staatskalender selbst, wird bereits auf das Fehlen von Daten hingewiesen:
 

... weil in den neueren Listen der obrigkeitlichen allgemeinen Zählung nach dem vorgeschriebenen Schema ... weder Alter noch Geschlecht abgesondert, und selbst die Juden mit den Christen vermischt waren; folglich ihre Ergebnisse unter die dort angenommenen Classen nicht vertheilt werden konnten. Nachdem davon die spätern eingegangenen verordnungsmässigen Juden Listen getrennt waren, fand es sich; dass im Jahr 1819 ... mehr als 1818 gezählt, ... Juden zu wenig angegeben waren, wodurch im Ganzen ein Plus von 938 herauskam, ...
 

Leider haben die Verfasser des Staatskalender die Korrekturen nur für die betreffenden Distrikte angegeben und nicht für die einzelnen Städte. Es war daher nicht möglich die Korrekturwerte im Kartogramm mit einzubeziehen. Aus diesem Grund sind etwas weniger als ein Drittel der jüdischen Bevölkerung im Kartogramm nicht abgebildet. Im Diagramm 1 wird die Anzahl der jüdischen Bevölkerung grafisch veranschaulicht. Der blaue Anteil der Balken repräsentiert dabei die im Kartogramm visualisierten Werte und der lila gefärbte Anteil steht für die durch die Korrektur hinzugefügten und nicht visualisierten Werte. Trotz der fehlenden Daten soll auf das Kartogramm nicht verzichtet werden, denn sie können mit fortschreitender Dateneingabe durch die Angaben aus den Akten der Volkszählung von 1819 ergänzt werden. Für das angezeigte Kartogramm wurden auf diese Weise die Daten von Parchim und Kröpelin aus der Volkszählung verwendet (in den Datentabellen durch grüne Felder hervorgehoben). Die Angaben der anderen Städte sind dem Staatskalender entnommen.

 

Die jüdischen Einwohner der Stadt Parchim aus den Akten der Volkszählung von 1819

In den Listen der Volkszählung von 1819 wurden in Parchim 97 Einwohner jüdischer Religion gezählt. Die nachfolgenden Tabellen beinhalten die überlieferten Angaben über jene Personen. Die dreiteilige Gliederung der Daten folgt dabei den Angaben aus der Volkszählung:

  1. Zunächst wurden die Daten der Bewohner in den drei verschiedenen Parchimer Heerdtschaften zusammengefasst: der Wockenthorschen Heerdtschaft, der Kreutzthorschen Heerdtschaft und der Neuthorschen Heerdtschaft. (Die administrative Unterteilung der Hausgrundstücke Parchims in Heerdtschaften reicht bis an das Ende des 15. Jahrhunderts zurück und ist vermutlich militärischen Ursprungs; sie hing vermutlich mit der Einteilung zur Verteidigung der Gebiete um die drei Stadttore zusammen.)
  2. Eine den Heerdtschaften untergeordnete administrative Einteilung Parchims waren die Kaveln. Diese Art der Einteilung bestand seit Mitte des 16. Jahrhunderts. Dabei wurden 5 bis 33 größtenteils zusammenhängende Hausgrundstücke zu einer Kavel zusammengefaßt. In der Liste der Volkszählung von 1819 wurden die Personen jedoch nur im Gebiet der Wockenthorschen Heerdtschaft den Kaveln zugeordnet. Für die anderen zwei Heerdtschaften stehen diese Informationen leider nicht zur Verfügung.
  3. Die kleinste Unterteilung der Datensätze folgt der Zugehörigkeit der Personen zu den Haushalten. Ein zusammenhängender Tabellenabschnitt stellt einen Haushalt dar. Der Datensatz des Haushaltsvorstands ist jeweils grau hinterlegt und fett gedruckt. Es folgen die Angehörigen der Kernfamilie, die durch die graue Markierung der Spalte Familiengröße gekennzeichnet sind. Den Familienmitgliedern schließen sich dann weitere Haushaltsangehörige, wie z.B. das Dienstpersonal an. Bei einigen Haushalten fällt bei einem Vergleich der Angaben zur Haushaltsgröße mit der Anzahl der angegebenen Personen das Fehlen von Haushaltsangehörigen auf. Dabei handelt es sich um Personen nicht jüdischer Religion, die im betreffenden Haushalt wohnten aber in den folgenden Tabellen nicht berücksichtigt wurden.

Folgende Abkürzungen werden verwendet: Nr.: Haushaltsnummer; H: Haushaltsgröße; F: Familiengröße; G: Geschlecht; V: Vorname; N: Nachname; GN: Geburtsname; GD: Geburtsdatum; A: Alter; GO: Geburtsort; K: Kirchspiel des Geburtsortes; Gew.: Gewerbe; S: Stand; GB: Grundbesitz; A(J): Anwesenheit (Jahre); A(M): Anwesenheit (Monate); FS: Familienstand.

Wockenthorsche Heerdtschaft

In der Heide-Kavel
In der Lindenstraßen-Kavel
In der Spieker-Kavel
In der Haken-Kavel

Kreutzthorsche Heerdtschaft

Neuthorsche Heerdtschaft

Migration und Ortsansässigkeit, Haushalts- und Familiengröße der jüdischen Einwohner Parchims 1819

Wie es im Diagramm 2 ersichtlich ist, waren 58 Einwohner von insgesamt 97 Personen der jüdischen Gemeinde, die 1819 in Parchim lebten, auch in Parchim geboren. Das ergibt einen Anteil von 60 Prozent. Unter genauerer Betrachtung dieses, im Vergleich zu den anderen Gruppen der Ortsanwesenheit, hohen Anteils, muss festgestellt werden, dass davon 46 Personen, also fast 80 Prozent, als Kinder in der Altersgruppe von 0 bis 24 Jahren gekennzeichnet wurden. Drei von ihnen verdienten selbständig ihren Unterhalt als Handelsmänner. Die übrigen lebten im Haushalt ihrer Eltern. Unter den verbleibenden 20 Prozent aus der Gruppe, der in Parchim geborenen jüdischen Personen, befanden sich 5 verheiratete Frauen, 2 Witwen und 5 erwachsene und zum überwiegenden Teil verheiratete Männer im Alter von 25 bis 58 Jahren, welche als Handelsmänner tätig waren. Erwähnenswert dabei ist, dass 1819 unter den jüdischen Ehepaaren keines darunter war, von denen beide Ehepartner in Parchim gebürtig waren. Die Ehemänner der erwähnten fünf verheirateten Parchimerinnen kamen aus Mannheim, Schwerin, Posselberg und Matzbach, die Ehefrauen der verheirateten und in Parchim geborenen Handelsmänner kamen aus Mirowitz, Malchin, Wahren und Plau.

Von den hinzugezogenen jüdischen Einwohnern lebten rund 26 Prozent seit mindestens 10 Jahren in Parchim und davon waren 60 Prozent schon länger als 20 Jahre in der Stadt. Unter den Personen, die 1819 weniger als 5 Jahre in Parchim wohnten, befanden sich unter anderem junge Ehefrauen, ein Dienstmädchen, Knechte, Kaufmanns-Burschen und ein 'Judenschulmeister'. Die Altersgrenzen in dieser Gruppe lagen zwischen 14 bis 31 Jahren.

Die Gesamtzahl der nicht in Parchim geborenen jüdischen Einwohner betrug 39. Davon waren 22 Personen aus anderen Städten Mecklenburg-Schwerins nach Parchim gezogen. Mit Ausnahme von Schwerin kamen sie aus dem südlichen und süd-östlichen Landesteil des Herzogtums, z.B. aus Penzlin, Grabow oder Plau. 17 Personen waren von außerhalb Mecklenburg-Schwerins, unter anderem von Mannheim, Hamburg oder dem preußischen Gniesen, nach Parchim gezogen.

Diagramm 2: Ortsanwesenheit der jüdischen Bevölkerung in Parchim 1819

Aus den Angaben der Volkszählung zu den Haushalten und Familien der jüdischen Einwohner Parchims 1819 lassen sich folgende Aussagen treffen: Die Anzahl der jüdischen Haushalte in Parchim betrug 24 mit einer Haushaltsgröße von 1 bis 11 Personen und der durchschnittlichen Größe von 4,6 Personen pro Haushalt. Von den 24 Haushaltsvorständen, die in den Altergrenzen von 26 bis 81 Jahren lagen, davon waren Haushaltsvorstände mit familiärer Verantwortung von 31 bis 71 Jahre alt, waren 22 männlichen und 2 weiblichen Geschlechts. Die beiden Frauen waren Witwen, zu denen bezüglich ihres Einkommens keine konkreten Angaben vorliegen. Die Männer dagegen waren mit Ausnahme des 'Judenschulmeisters' und eines Witwers alle im Handel tätig. Zu den Haushaltsangehörigen, die nicht zur Kernfamilie gehörten, zählten das Gesinde, wie Knechte und Dienstmädchen oder anderes Personal, wie Kaufdiener oder Kaufmanns-Burschen. Die Anzahl der jüdischen Kernfamilien in Parchim entsprach der Anzahl der Haushalte mit einer Familiengröße von 1 bis zu 9 Mitgliedern und einer durchschnittlichen Größe von 3,7 Personen pro Familie.