Die Volkszählung von 1819 in der „Schusterstadt“ Kröpelin
Anke Maiwald M.A. und PD Dr. Michael Busch
Kröpelin, eine mecklenburgische Kleinstadt, die an der Handelsroute zwischen Wismar und Rostock liegt, war seit dem Spätmittelalter ein Ort des Handwerks. Die Schuhmacherzunft war es, die Kröpelin zum Ruf einer ‚Schusterstadt’ verhalf, und das über die Grenzen Mecklenburgs und des Reiches hinaus.
Jährlich zogen viele Schuster nach Kröpelin, die anderswo keine Stelle bekamen, ließen sich dort nieder und übten ihr Handwerk „unkontrolliert und ohne Gerechtigkeit“ aus. Daraufhin baten die Kröpeliner Schuster Herzog Johann Albrecht am 21. März 1614 zur Abwendung dieser Ungelegenheiten um die „Begnadigung durch eine Amtsrolle und Gerechtigkeit.“ Der Herzog erteilte den Kröpeliner Schuhmachern am 10. März 1615 ein Privileg, in dem in zehn Paragraphen die näheren Umstände und Bedingungen zum Erlernen und zur Ausübung des Handwerks in Kröpelin geregelt wurden. Diese Privilegien wurden im Laufe der Jahrhunderte mehrmals verändert und erneut durch die regierenden Herzöge bestätigt, so am 29. 6.1720 durch Karl Leopold, 1765 durch Herzog Friedrich und am 24. Mai 1786 durch Herzog Friedrich Franz. Nun musste jeder Schuster drei Jahre wandern und als Meisterstück in Gegenwart des Zunftvorstandes, der Älterleute und Amtsbrüder, ein Paar lange Stiefel und ein Paar Schuhe mit ledernen Absätzen anfertigen. Geriet die Arbeit nicht zur Zufriedenheit der Begutachter, wurde er mit einer ‚erträglichen’ Strafe belegt und durfte einen zweiten Versuch anfertigen. Missriet auch dieses Meisterstück, musste erneut ein Jahr gewandert werden.
In Kröpelin hatten die Gesellen die Möglichkeit, in einer Herberge unterzukommen; das Haus steht heute in der Rostocker Straße 17. 1819 leitete es der 58jährige Herbergier Christian Drewitz aus dem preußischen Werder. Die Herberge war gut besucht, aus vielen Teilen Deutschlands und Europas kamen Handwerker nach Kröpelin. So weist die Volkszählungsliste von 1819 unter anderem den 28jährigen Goldschmied Otto Dahlmann aus dem schwedischen Helsingborg aus; Thomas Haase, einen Zimmermann aus Darmstadt hatte es ebenso nach Kröpelin verschlagen wie den 66jährigen Tischler Johann Lüttke aus Königsberg. Die weiteste Anreise hatte der Schuster Henri Andais, der am 1. März 1778 im französischen St. Denis geboren worden war. Er lebte bereits seit 1808 in der mecklenburgischen Kleinstadt, die 1819 insgesamt 1590 Einwohner zählte.
Die Anteile der einzelnen Erwerbsobergruppen in Kröpelin für das Jahr 1819 sind im Diagramm 1 dargestellt. Es veranschaulicht, inwiefern zur damaligen Zeit in Kröpelin verschiedene Erwerbsbereiche vertreten waren. Den mit Abstand größten Anteil von 28,7 Prozent hatte die Obergruppe Bekleidung inne, zu der unter anderem das Schusterhandwerk gezählt wurde. Innerhalb dieser Gruppe dominierten insgesamt 165 Schuster (Lehrburschen, Gehilfen und Schuster-Witwen mit eingeschlossen), deren Anteil bei 85,1 Prozent lag. Es folgten 24 Erwerbspersonen aus dem Schneiderhandwerk (12,4 Prozent), 4 Personen, die das Handwerk der Färberei betrieben (2,1 Prozent) und zuletzt ein Hutmacher (0,5 Prozent).
Diagramm 2 zeigt die Anzahl der im Schusterhandwerk tätigen Personen, die gemäß ihres Ausbildungsstandes in Gruppen zusammengefaßt wurden. Von den insgesamt 165 Schustern waren 56,4 Prozent Meister, 23,6 Prozent Gesellen und 14,5 Prozent Lehrburschen. Bezüglich des Anteils der in Kröpelin geborenen Schuster lassen sich für das Jahr 1819 für die drei Gruppen unterschiedliche Beobachtungen feststellen: die Gruppe der Lehrburschen, der Nachwuchs des Schusterhandwerks, stammte zu zwei Dritteln aus Kröpelin und ein Drittel von den Lehrlingen kam von außerhalb, zum Teil aus der näheren Umgebung. Anders hingegen war der Anteil der Kröpeliner unter den Gesellen. Bedingt durch die Wanderschaft war hier der entsprechende Anteil der auswärtig Geborenen mit 77 Prozent relativ stark vertreten. In der Gruppe der Meister stammten etwas mehr als 50 Prozent gebürtig aus Kröpelin.
Laut der Volkszählung von 1819 waren in Kröpelin von den gezählten 1590 Einwohnern 675 Personen erwerbstätig. Das ergibt einen Anteil der Erwerbsbevölkerung von 42,5 Prozent. Wird der Kreis des Schusterhandwerks noch um verwandte Berufe wie Gerber, Riemer und Färber erweitert, so erhöht sich die Anzahl der Personen, die entweder direkt oder im weiteren Umfeld in der Schusterei tätig waren, von 165 auf 182 Personen. Gemessen an der Erwerbsbevölkerung würde dies bedeuten, dass 27 Prozent, also etwas weniger als ein Drittel, aller Erwerbspersonen in Kröpelin mit der Reparatur und Fertigung von Schuhwerk beschäftigt waren.
Literatur: Die Geschichte der Stadt Kröpelin, Chronik Teil 1, hrsg. von der Stadt Kröpelin, mit Druckbögen von 1932, Kröpelin 1999.